Gestern erschien ein neuer Artikel auf dem, von mir sehr geschätzten, Blog des Kollegen Patrick Prior mit dem Titel “Die kommende technologische Herausforderung der Anwaltschaft ist die Qual der Wahl”. Dort heißt es:
“Laut einer Umfrage von PwC unter Anwaltskanzleien im Jahr 2018 sagen die 10 größten Unternehmen mit Hauptsitz in Großbritannien, dass die Technologie die bedeutendste Herausforderung für die Branche in den Jahren 2019-2020 ist. Nachdem die Anwaltschaft im Vereinigten Königreich jahrelang hinter dem Tempo der Technik zurückgeblieben ist, holt sie nun auf. Die Anwälte/innen erkennen nun, dass sich der Sektor ändern muss, und zwar schnell, aber das führt nun zu dem Problem von zu viel Technologie-Angeboten.”
Der genannte Artikel basiert auf einer Veröffentlichung der Financial Times in der das Problem der schnellen Entwicklung und der zu hohe Anzahl der neuen Lösungen diskutiert wird.
Doch während der Artikel in der Financial Times ausführlich Probleme wie mangelnde Schnittstellen, keine gemeinsamen Plattformen und des mangelnden Überblicks bei gleichzeitig mangelnder Agilität behandelt, lässt er eine entscheidende Frage aus dem Blickfeld.
Technologie ist nicht die Lösung für alle Probleme.
Während 2016 und 2017 die Rechtsdienstleistungsbranche mit der Frage nach der Bereitschaft zur Implementierung von technologischen Lösungen zu kämpfen hatte und eine Menge Überzeugungsarbeit von Nöten war, hat sich das Blatt in 2018/2019 komplett gewendet. Scheinbar sind große Kanzleien und Unternehmen bereit in alles zu investieren, was gegebenenfalls für ihre möglicherweise Probleme eine Lösung bietet, es wird vielfach ohne Sinn und Verstand eingekauft, um den Anschein einer Modernisierung sowohl intern als auch extern zu erwecken. Selbstverständlich ist dabei der Mangel an Schnittstellen zwischen den Lösungen, sowie die Tatsache, dass diese vielfach nicht ausgereift sind eine große Herausforderung.
Doch in meinen Augen ist jede Bemühung um Automatisierung unnötig und reine Geldverschwendung, solange man nicht einmal weiß, was man zu modernisieren versucht. Vielerorts werden essenzielle Fragen nicht gestellt, Entscheidungen viel zu weit oben in der Hierarchie getroffen, sodass die Entscheidungsträger nicht wissen wo der Schuh überhaupt drückt. Hinzukommt, dass Softwarelösungen lizenziert werden, ohne dass die Mitarbeiter, welche tagtäglich damit arbeiten sollen hinreichend geschult werden, geschweige denn dass diese die Möglichkeit hätten die Lösung vorab zu testen.
Klar, KI ist der Begriff des Jahres 2019 und während regelbasierte Lernsysteme, selbstlernende Systeme und sogar einfache Datenbanken scheinbar alles KI zu sein scheinen, verkaufen sich tools mit KI oder AI im Namen hervorragend.
Dabei beisst sich jedoch die Katze in den eigenen Schwanz: denn nach kurzer Zeit werden die Wagemutigen feststellen, dass ihre Investitionen nicht ausbezahlt haben werden, dass Prozesse viel langsamer geworden sind und im Grunde genommen viel Geld verbrannt wurde. In den Fällen wird dann vermutlich viel zu schnell die Kooperation beendet, sodass sogar zukunftsversprechende Softwarelösungen ihre Dienste einstellen müssen, weil denen das nötige Kapital fehlt. Eine Frustration entsteht auf allen Seiten und innerhalb kürzester Zeit lässt dann die Motivation auch nach.
Das eigentliche Problem dabei ist: aus diesem Prozess wird nicht gelernt. Denn:
Es ist nicht schlimm Tools auszuprobieren und zu experimentieren. Aber!
Umso wichtiger ist es intern Lehren daraus zu ziehen, zu dokumentieren was funktioniert und nicht funktioniert hat. Außerdem wäre es wichtig zu verstehen welche Abläufe modernisiert werden können und sollen und dabei vor Augen zu führen, dass eine Digitalisierung nicht immer gleichzeitig eine Geschwindigkeitssteigerung bedeutet. Es wäre wichtig zu verstehen wie die interne Prozesse überhaupt ablaufen, welcher (Nicht-)Berufsträger wie arbeitet und was er/sie bräuchte um effizient arbeiten zu können. Denn nur wer einen Überblick und ein Verständnis über die internen Prozesse hat, weiß auch was genau er/sie von der Softwarelösung erwarten kann und kann diese gezielt auf den Anforderungskatalog testen. Es wäre sinnvoll zu verstehen, dass scheinbar riesengroße Probleme durch die Verbesserung der Kommunikation, einfache Änderungen im Ablauf (Prozessoptimierung) oder besseres Zeitmanagement einzelner bereits aus der Welt geschafft werden können. Hier können zwar technische Lösungen auch eine entsprechende Abhilfe sein, doch sie sind nicht immer die beste Lösung, oftmals zu teuer, langsam und übertrieben.
Die Etablierung neuer Softwarelösungen wurde vermutlich noch nie so schnell in einer Organisation durchgeführt wie in der Rechtsbranche heutzutage.
Doch ohne entsprechende Vor- und Nachbereitung inklusive ehrliche Feedbackrunden, Kritikfähigkeit und methodische Herangehensweise werden Geldspritzen verteilt, ohne dass man eigentlich weiß wofür. Und selbstverständlich ist man dann überfordert, schließlich weiss man nicht was man sucht. Doch Automatisierung geschieht nicht von heute auf morgen und Geld alleine reicht hier nicht aus.
Denn Automatisierung und der Aufbau einer eigenen Softwarelandschaft braucht insbesondere Zeit. Und dieser Faktor t ist oft gerade der, den die Branche mit dem anrechenbaren Stundenmodell üblicherweise nicht hat, jedoch haben sollte.
Quellen und weitere Hinweise:
Die kommende technologische Herausforderung der Anwaltschaft ist die Qual der Wahl-Legal Tech Verzeichnis
Lawyer´s next challenge: too much technology– financial times
Legal Geek StartUp Map– Legal Geek
Legaltechlist – Stanford Edu
Wie gelingt eine optimale Softwareinführung– t2informatik.de
So etablieren Sie neue Denk- und Verhaltensroutinen– channelpartner.de
Change Management: So verläuft die Softwareeinführung reibungslos – haufe.de
DevOps in Unternehmen etablieren– heise.de
5 Schritte zur erfolgreichen Softwareeinführung bei kleinen Unternehmen (KMU)– Softwarepunks.com
Interview zu Legal Design: Was es ist und was es kann – Lto.de
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